alter Mensch mit Demenz hält sich an der Tasche fest, Fotograf Mario Sornig

Erscheinungsdatum: 14.3.2022 | Styria/Kneipp Verlag

Die Weisheit der Demenz

Wegweiser zum würdevollen Umgang
mit desorientierten Menschen

Weg vom Gehirn? Hin zum Herzen!

Eingebettet in sieben große Themenwelten eines Menschenlebens erzählt Hildegard Nachum wahre, berührende, tragische und komische Geschichten aus dem Universum der Demenz. Sie übersetzt den verborgenen Sinn des oft irritierenden Verhaltens wie eine Dolmetscherin. In den Geschichten wird dabei eine überraschende Weisheit sichtbar, die schließlich die Lebensqualität von uns allen bereichern kann.

Durch das Eintauchen in die Zeitgeschichte und das Erkunden bewegter und bewegender Biografien entsteht eine Landkarte. Eine erlernbare Kommunikationstechnik sowie Musik und Berührung können schließlich eine heilsame Reiseroute über das Herz ermöglichen, wenn die Straße zum Gehirn nicht mehr befahrbar ist.

Hildegard Nachum

Die studierte Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Hildegard Nachum ist Validationsmasterin, zertifizierte Validationslehrerin und seit vielen Jahren eine gefragte Referentin in der Ausbildung von geriatrischen Pflegekräften. Ihre fundierte fachliche Expertise ist gepaart mit unzähligen persönlichen und unmittelbaren Erfahrungen in der Pflege und Validation von alten und Menschen, die in einer Veränderung sind. Ihre hohe Empathiefähigkeit, eine strahlende Herzenswärme und tiefe ehrliche Wertschätzung für die Weisheit, die hinter den oft verwirrenden und verwirrten Verhaltensveränderungen alter Menschen steht, eröffnen ihr einen erhellenden Zugang in die Welt der Demenz, den sie mit einem Meer an wahren, berührenden, tragischen und komischen Geschichten mit uns teilt.

Buchrezensionen

Aus dem Bücherkasten (Weisheit der Demenz)

von Birgit Meinhard-Schiebel, pflege und kunst
18. Mai 2022

Mit Menschen in ihrer demenziellen Erkrankung gemeinsam auf die Reise in ihr eigenes Land zu gehen, das ist die Herausforderung, die in diesem Buch beschrieben wird. Das, was heute als Fachwissen vorliegt und die sogenannte Versorgungslandschaft skizziert, ist eine Grundlage. Der einzelne Mensch, der davon betroffen ist, braucht die Chance, begleitet zu werden auf seinem Weg in dem eigenen, persönlichen Land. Die letzten Jahrzehnte waren geprägt davon, sich mit der für viele als Schreckgespenst existierenden Erkrankung Demenz auseinanderzusetzen. Beginnend oft mit Testprogrammen, die den momentanen Zustand aufzeigen und öfter den Effekt haben, wegen der Streßsituation ein anderes Bild zu geben als im übrigen Alltag. Die typischen Erscheinungen des Krankheitsbildes werden durch die jeweiligen markierten Stellen: „In der Praxis“ beleuchtet und geben Möglichkeiten der guten Handlung. Denn ohne die Lebensgeschichte der Betroffenen zu kennen, bleibt die Weisheit, die hinter den Fassaden der Menschen liegt, verborgen. Naomi Feils Methode der Validation öffnet Türen des Verständnisses und gibt im Kontakt mit betroffenen Menschen die große Chance, sie auf ihrem Weg zu begleiten, so schwierig dieser Weg oft ist. Die hilfreichen Techniken der Validation sind selbst beim Lesen – immer mit dem Hintergrund von Erzählungen über bestimmte Menschengeschichten – so nachvollziehbar und neben aller Sachlichkeit auch einfach beschrieben, dass sie ein bemerkenswertes Instrumentarium bilden.

Auch die Erkenntnisse anderer ExpertInnen zeigen, wie unendlich weit das Feld ist, auf dem sich Menschen mit einer demenziellen Erkrankung bewegen und welche Stadien sie durchschreiten.

Aktuell gerade jetzt im Kapitel Perspektivenwechsel ist auch die Bedeutung seelischer Kriegsfolgen – Traumata, die wieder getriggert werden und zusätzliches Leid verursachen. Berührend sind die Geschichten der einzelnen Personen, von denen hier erzählt wird und die Erlebnisse, die oft für sie ihr Leben bestimmt haben.

Um auch den Blick in die Zukunft der Demenz zu machen, schließt das so sorgsam gestaltete Buch mit dem Hinweis darauf, dass in einer sich ständig verändernden Welt großes Denken seinen Platz haben muss. Das betrifft die Betroffenen, den Umgang mit ihnen, das betrifft die Pflege- und Betreuungskräfte, die für diese Begleitung durch das weite Land gute Arbeits- und Bildungsbedingungen brauchen, das betrifft eine Gesellschaft, die multikulturell denken und handeln muss – und einfühlsame Therapiekonzepte für die betroffenen Menschen.

Um sich in dieser Welt der desorientierten Menschen bewegen zu können und ihnen ihre Würde niemals zu nehmen, ist dieses Buch ein besonderer Wegweiser, den die Autorin liebevoll gestaltet hat. —

Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Transparenz: Das Rezensionsexemplar wurde dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Kein Honorar.

Rezension von pflegeundkunst

Rezension „Die Weisheit der Demenz“

von Brigitte Quint (FURCHE-Redakteurin)
2. Juni 2022

Grünland. Häuser, die in einem Kreis angeordnet sind. Ebenerdig. In den Gebäuden leben alte Menschen in Wohngemeinschaften. In der Mitte befindet sich eine imposante Eiche. Auf einer Tafel ist zu lesen: „Alle Menschen haben das Recht, auch einer unerträglichen Realität Sinn zu geben […].“

In ihrem Buch „Die Weisheit der Demenz“ kreiert Hildegard Nachhum ihre ganz persönliche Zukunftsvision, wie ein Leben mit Demenz würdevoll gestaltet werden kann. Ihre Absicht ist augenfällig. Die Pflege und Fürsorge von Demenzkranken ist häufig unzureichend. Auch, weil Angehörige oder Pflegekräfte zu wenig wissen über die Diagnose und ihren Umgang damit.

„Ohne Geist“ lautet die deutsche Übersetzung von „dementia“, von dem sich der Begriff Demenz ableitet. Betroffene verlieren im Krankheitsverlauf größtenteils ihre Unabhängigkeit und bedürfen permanenter Außenhilfe. Für letzteres empfiehlt Nachum „Validation“, eine Methode, die von der deutschamerikanischen Gerontologin Naomi Feil (sie verfasste auch das Vorwort im Buch) entwickelt wurde und die darauf ausgerichtet ist, Demenzkranken und ihren Angehörigen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.

Autorin Hildegard Nachum wiederum ist Referentin in Ausbildungsprogrammen von geriatrischen Pflegekräften und versucht diese für die Bedürfnisse von Dementen zu sensibilisieren. Validation, so schreibt sie, ist indes mehr als eine Kommunikationsmethode. Tatsächlich ginge es um eine Grundhaltung alten Menschen gegenüber.

Emotion statt Logik

Nachum appelliert an ihre Leserinnen und Leser, den Gedächtnisverlust als Faktum anzuerkennen, der zum Altwerden dazugehört. Die Autorin beschreibt, dass sich der Pflegende im Umgang mit Dementen von einem bewährten Problemlöseverhalten verabschieden sollte. Während der Nicht-Demente als „Kopfmensch“ gewöhnt ist, mit Logik voranzukommen, könnten sich Demente selbsterklärend darauf nicht mehr stützen. Genau diese Diskrepanz empfiehlt Nachum zu überwinden. In der Beziehung zu einem Dementen ist es sinnvoller, auf Emotion und weniger auf Kognition zu setzen. „Denn der Mensch bleibt immer Mensch, er besteht nicht nur aus Gehirn, sondern auch aus Emotionen, Erfahrungen und intuitivem Wissen. […]“

Gelingen kann das über die Stimulation des Langzeitgedächtnisses, auf das ein Großteil der von Demenz Betroffenen noch sehr lange zurückgreifen kann.

Gelingen kann das über die Stimulation des Langzeitgedächtnisses. Nachum beschreibt, dass ein Großteil der von Demenz Betroffenen noch sehr lange darauf zurückgreifen kann. Wer mit Dementen zu tun hat, für den ist es daher sinnvoll, sich mit Zeitgeschichte zu beschäftigen. Die Expertin rät auch, sich mit unterschiedlichen Biografien oder Konzepten wie der „biografischen Musik“, bei dem es darum geht, Musik als Teil eines Lebenszusammenhangs zu begreifen, auseinanderzusetzen.

Eine Annäherung, die allerdings erst ein Folgeschritt sein kann, wenn es darum geht, mit dementen Angehörigen im Alltag zurechtzukommen. Im Buch aufgeworfen werden daher auch diverse Situationen, die wohl die allermeisten Familienmitglieder von Dementen erfahren: Fragen und Erzählungen, die ihnen gegenüber laufend wiederholt werden, Anekdoten, die Familienmitglieder in- und auswendig kennen.

Nachum weiß um die Ohnmacht der Zuhörenden, die sich Tag für Tag mit „Penetranz-Geschichten“ (so der geriatrische Fachbegriff) auseinanderzusetzen haben. Doch sie weist entschieden darauf hin, wie wichtig die richtige Reaktion angesichts dieses Verhaltens sei. Ignoranz, Ablenkung, dem Gesagten keine Bedeutung beimessen, sich lustig machen – all das ist kaum zielführend für ein würdevolles Miteinander. Vielmehr gilt es, sich auf eine emotionale Ebene zu begeben, den Erzählenden nach Gefühlen zu fragen, die sich hier Bahn brechen.

Nachum ist es in „Die Weisheit der Demenz“ gelungen, anschaulich auf eine zu wenig beachtete Causa hinzuweisen. Zudem liefert sie gleich Ideen mit, um sowohl Menschen mit Demenz als auch deren Angehörigen ein gutes Leben zu ermöglichen. Im Zentrum steht die eigene Haltung oder diese zu überdenken. In einem zweiten Schritt geht es um Beziehungsarbeit, die bis zum Lebensende mit dementen Personen möglich ist. Ein ermutigender und trostreicher Impuls für die Leserschaft.

Rezension von Brigitte Quint (FURCHE-Redakteurin)