Erscheinungsdatum: 14.3.2022 | Styria/Kneipp Verlag
Die Weisheit der Demenz
Wegweiser zum würdevollen Umgang
mit desorientierten Menschen
Weg vom Gehirn? Hin zum Herzen!
Eingebettet in sieben große Themenwelten eines Menschenlebens erzählt Hildegard Nachum wahre, berührende, tragische und komische Geschichten aus dem Universum der Demenz. Sie übersetzt den verborgenen Sinn des oft irritierenden Verhaltens wie eine Dolmetscherin. In den Geschichten wird dabei eine überraschende Weisheit sichtbar, die schließlich die Lebensqualität von uns allen bereichern kann.
Durch das Eintauchen in die Zeitgeschichte und das Erkunden bewegter und bewegender Biografien entsteht eine Landkarte. Eine erlernbare Kommunikationstechnik sowie Musik und Berührung können schließlich eine heilsame Reiseroute über das Herz ermöglichen, wenn die Straße zum Gehirn nicht mehr befahrbar ist.
Hildegard Nachum
Die studierte Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Hildegard Nachum ist Validationsmasterin, zertifizierte Validationslehrerin und seit vielen Jahren eine gefragte Referentin in der Ausbildung von geriatrischen Pflegekräften. Ihre fundierte fachliche Expertise ist gepaart mit unzähligen persönlichen und unmittelbaren Erfahrungen in der Pflege und Validation von alten und Menschen, die in einer Veränderung sind. Ihre hohe Empathiefähigkeit, eine strahlende Herzenswärme und tiefe ehrliche Wertschätzung für die Weisheit, die hinter den oft verwirrenden und verwirrten Verhaltensveränderungen alter Menschen steht, eröffnen ihr einen erhellenden Zugang in die Welt der Demenz, den sie mit einem Meer an wahren, berührenden, tragischen und komischen Geschichten mit uns teilt.
Buchrezensionen
Rezension „Die Weisheit der Demenz“
von Brigitte Quint (FURCHE-Redakteurin)
2. Juni 2022
„Grünland. Häuser, die in einem Kreis angeordnet sind. Ebenerdig. In den Gebäuden leben alte Menschen in Wohngemeinschaften. In der Mitte befindet sich eine imposante Eiche. Auf einer Tafel ist zu lesen: „Alle Menschen haben das Recht, auch einer unerträglichen Realität Sinn zu geben […].“
In ihrem Buch „Die Weisheit der Demenz“ kreiert Hildegard Nachhum ihre ganz persönliche Zukunftsvision, wie ein Leben mit Demenz würdevoll gestaltet werden kann. Ihre Absicht ist augenfällig. Die Pflege und Fürsorge von Demenzkranken ist häufig unzureichend. Auch, weil Angehörige oder Pflegekräfte zu wenig wissen über die Diagnose und ihren Umgang damit.
„Ohne Geist“ lautet die deutsche Übersetzung von „dementia“, von dem sich der Begriff Demenz ableitet. Betroffene verlieren im Krankheitsverlauf größtenteils ihre Unabhängigkeit und bedürfen permanenter Außenhilfe. Für letzteres empfiehlt Nachum „Validation“, eine Methode, die von der deutschamerikanischen Gerontologin Naomi Feil (sie verfasste auch das Vorwort im Buch) entwickelt wurde und die darauf ausgerichtet ist, Demenzkranken und ihren Angehörigen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen.
Autorin Hildegard Nachum wiederum ist Referentin in Ausbildungsprogrammen von geriatrischen Pflegekräften und versucht diese für die Bedürfnisse von Dementen zu sensibilisieren. Validation, so schreibt sie, ist indes mehr als eine Kommunikationsmethode. Tatsächlich ginge es um eine Grundhaltung alten Menschen gegenüber.
Emotion statt Logik
Nachum appelliert an ihre Leserinnen und Leser, den Gedächtnisverlust als Faktum anzuerkennen, der zum Altwerden dazugehört. Die Autorin beschreibt, dass sich der Pflegende im Umgang mit Dementen von einem bewährten Problemlöseverhalten verabschieden sollte. Während der Nicht-Demente als „Kopfmensch“ gewöhnt ist, mit Logik voranzukommen, könnten sich Demente selbsterklärend darauf nicht mehr stützen. Genau diese Diskrepanz empfiehlt Nachum zu überwinden. In der Beziehung zu einem Dementen ist es sinnvoller, auf Emotion und weniger auf Kognition zu setzen. „Denn der Mensch bleibt immer Mensch, er besteht nicht nur aus Gehirn, sondern auch aus Emotionen, Erfahrungen und intuitivem Wissen. […]“
Gelingen kann das über die Stimulation des Langzeitgedächtnisses, auf das ein Großteil der von Demenz Betroffenen noch sehr lange zurückgreifen kann.
Gelingen kann das über die Stimulation des Langzeitgedächtnisses. Nachum beschreibt, dass ein Großteil der von Demenz Betroffenen noch sehr lange darauf zurückgreifen kann. Wer mit Dementen zu tun hat, für den ist es daher sinnvoll, sich mit Zeitgeschichte zu beschäftigen. Die Expertin rät auch, sich mit unterschiedlichen Biografien oder Konzepten wie der „biografischen Musik“, bei dem es darum geht, Musik als Teil eines Lebenszusammenhangs zu begreifen, auseinanderzusetzen.
Eine Annäherung, die allerdings erst ein Folgeschritt sein kann, wenn es darum geht, mit dementen Angehörigen im Alltag zurechtzukommen. Im Buch aufgeworfen werden daher auch diverse Situationen, die wohl die allermeisten Familienmitglieder von Dementen erfahren: Fragen und Erzählungen, die ihnen gegenüber laufend wiederholt werden, Anekdoten, die Familienmitglieder in- und auswendig kennen.
Nachum weiß um die Ohnmacht der Zuhörenden, die sich Tag für Tag mit „Penetranz-Geschichten“ (so der geriatrische Fachbegriff) auseinanderzusetzen haben. Doch sie weist entschieden darauf hin, wie wichtig die richtige Reaktion angesichts dieses Verhaltens sei. Ignoranz, Ablenkung, dem Gesagten keine Bedeutung beimessen, sich lustig machen – all das ist kaum zielführend für ein würdevolles Miteinander. Vielmehr gilt es, sich auf eine emotionale Ebene zu begeben, den Erzählenden nach Gefühlen zu fragen, die sich hier Bahn brechen.
Nachum ist es in „Die Weisheit der Demenz“ gelungen, anschaulich auf eine zu wenig beachtete Causa hinzuweisen. Zudem liefert sie gleich Ideen mit, um sowohl Menschen mit Demenz als auch deren Angehörigen ein gutes Leben zu ermöglichen. Im Zentrum steht die eigene Haltung oder diese zu überdenken. In einem zweiten Schritt geht es um Beziehungsarbeit, die bis zum Lebensende mit dementen Personen möglich ist. Ein ermutigender und trostreicher Impuls für die Leserschaft.„
Rezension von Brigitte Quint (FURCHE-Redakteurin)